Was verbindest du mit dem Wort queer?
Ich sage immer, es gibt drei Arten, wie man das Wort auffassen kann. Manche benutzen es nur als Oberbegriff für alles, was lesbisch, schwul, bi, trans, inter, ace, aro und alles Weitere bezeichnet. Dann kann man es als politische Dimension begreifen für alles, was eigentlich normativ nicht vorgesehen ist. Außerdem kann es auch ein Joker-Wort sein, um sich nicht in diesen ganzen einzelnen Kategorien verorten zu müssen, aber damit zu sich zu finden.
Auf deiner Webseite schreibst du, wir leben im ›Cistem‹. Was bedeutet das?
Das Wort habe ich in der Community aufgeschnappt. Es ist, ähnlich wie das Wort Heteronormative, ein Wortspiel aus Normativität und Hetero, ein Kunstwort. Cistem besteht aus Cis und System. Darin gibt es strukturelle Marginalisierungen und Privilegien, die systematisch geschaffen wurden durch Gesetze oder Religion. Eigentlich impliziert Heteronormative schon, dass alle cis sind. Trotzdem war es nochmal wichtig darauf hinzuweisen, dass die Idee von Geschlecht einem von Geburt an zugeordnet wird und diese dann unsere Interessen bestimmt, unsere späteren Einkommen und unsere Rollen in Beziehungen. So als sei es irgendwie vom Himmel gefallen oder eine Form von Natürlichkeit. Das alles ist Teil des Cistems, in das wir hineinwachsen und das wir internalisieren. Und alles, was dann diesen Erwartungen nicht entspricht, wird wahlweise pathologisiert oder misstrauisch beäugt. Einige Kinder merken dann aber schon früh: Das macht alles keinen Sinn für mich.
Du hast bei Trans* Recht e.V. in der Beratung gearbeitet. Was hat die Menschen dort zu dir gebracht?
Ich war in der Trans*Beratung von Bremen-Nord und Bremerhaven tätig. Da hatte ich von Teenagern bis 60–70 Jahre alte Menschen alle Altersgruppen in der Beratung. Das waren zum einen Personen, die für sich schon eine Klarheit hatten und bestimmte Fragen zu Abläufen bei Krankenkassen oder Namensänderungen im Pass hatten. Manchmal waren es auch Angehörige, Eltern, die für sich etwas klären mussten, von wegen: ›Ich struggle irgendwie noch mit dem Outing meines Kindes, weiß aber nicht, mit wem ich darüber reden soll.‹ Bei den Teenagern war es häufiger so, dass das Umfeld der Schule eine wichtige Rolle spielte. Die Schule ist einfach nicht immer ein sicherer Ort. Aber trotzdem müssen die Kids ja dorthin. Es geht also ganz viel um Alltagsarbeit und darum, was wir tun können, damit im Umfeld bestimmte Verhaltensweisen und Belastungen abgebaut werden können.
Du bietest außerdem Workshops und Beratungen für ein diskriminierungsfreies Miteinander am Arbeitsplatz an. Was lernen die Mitarbeitenden bei dir für den Arbeitsalltag?
Die Workshops sind ein Ort, wo alle etwas voneinander lernen, also nicht nur ein Input, sondern ein aktiver Austausch. Grundsätzlich geht es darum, die Handlungssicherheit im beruflichen Kontext zu erhöhen. Seit 2019 schreibt man zum Beispiel in Ausschreibungen ›(m/w/d)‹. Als bewerbende Person kann man daraus aber nicht erkennen, ob die Leute wirklich wissen, was das eigentlich bedeutet, geschlechtlich diverse Menschen mit anzusprechen, und wie sich man in einem Bewerbungsgespräch dementsprechend gut verhält. Wie geht man damit um, dass Mitarbeitende queer sind, also zum Beispiel keine Pronomen oder Neopronomen verwenden. Es geht also auch darum zu erklären, was die Rechte und Pflichten von Arbeitgebenden und Kolleg:innen sind. Zum Beispiel müssten sie eigentlich Schulungen machen, um ihre Leute fit zu machen und präventiv zu arbeiten. Klassiker sind dabei die Personalabteilung, die sich querstellt mit den Namen auf dem Arbeitsvertrag, die Toilettensituation oder das Anschreiben bei E-Mails. Da sollten wir zum Beispiel aufhören, von Vornamen auf das Geschlecht zu schließen. Ein ›Guten Tag Vorname Nachname‹ für alle würde schon reichen.
›Es ist einfach Übungssache und am Ende profitieren wir alle davon, weil die Geschlechterbetonung dort, wo sie nicht relevant ist, nur schadet.‹
Wie achtet man beim Schreiben und Reden denn besser auf Geschlechtervielfalt?
Texte sind ein super Trainingsgebiet, aber wichtig wäre es, das als Alltagsaufgabe zu sehen, deutlich weniger auf Geschlechter zu referenzieren. Wir denken häufig eher: Ach, wenn ich mal das Glück habe auf so ein ›Einhorn‹ zu treffen, dann muss ich mich bei dem anstrengen! Wenn ich es dann immer nur in dem Kontext mache, dann habe ich halt nicht genügend Trainingsroutine. Ich kann mich erinnern, als ich 2014 meine Laudatio beim queeren Preis für Fleiß in Niedersachsen gehalten habe. Da habe ich ›Sehr geehrte Damen und Herren‹ gesagt und dann ist mir nachher aufgefallen: ›Oh Nein, jetzt habe ich eine inter* Person, die ich dort kennengelernt habe, gar nicht mit angesprochen!‹ Ich fragte sie, was ich denn da machen kann, und die Person schmunzelte mich an: ›Liebe Anwesende!‹ Und ich dachte mir: ›Ach, es kann so einfach sein.‹ Man muss aber auch Geduld mit sich haben. Die Erwartungshaltung kann nicht sein: Mir hat es jetzt jemand einmal erklärt, ab morgen mache ich alles richtig. Es ist einfach Übungssache und am Ende profitieren wir alle davon, weil die Geschlechterbetonung dort, wo sie nicht relevant ist, nur schadet.
Du bezeichnest das diskriminierungsfreie Miteinander am Arbeitsplatz als eine Maßnahme des Gesundheitsschutzes für die Mitarbeitenden, was bedeutet das?
Ganz einfach: Diskriminierung macht krank. Es gibt den Begriff des Minoritäten- oder Marginalisierungsstresses. Es ist so, wie wenn man auf der Haut stundenlang auf derselben Stelle kratzt, dann wird sie irgendwann wund. Durch Dauerstress, auch in kleinen Dosen, gibt es eine höhere Wahrscheinlichkeit für Herzerkrankungen, Depressionen und Krebserkrankungen. Leute, die sich nicht outen können und somit auch nicht sichtbar sein können, weil sie sich nicht sicher fühlen, müssen sich die ganze Zeit anpassen. Das kostet viel Energie und meistens gibt es langfristig, spätestens so nach 10 bis 20 Jahren, Folgen für die Gesundheit, das zeigen die Statistiken.
Du beschäftigst dich schon seit vielen Jahren tagtäglich mit queeren Themen, woher stammt deine Motivation und was wünscht du dir für die Zukunft?
Es ist so, wie ich es in einem Film über Harvey Milk (der erste offen schwule Politiker der USA – d.R.) gehört habe: ›Wenn sie einen von uns kennen, wird eine von zwei negativ eingestellten Personen ihre Einstellung verändern. Weil es für sie nicht mehr eine abstrakte, ferne Sache ist, sondern weil es dann Leute sind, die sie kennen und mögen.‹ Ich wünschte, wir wären in den letzten 40 Jahren schon so viel weitergekommen. Inzwischen bin ich einfach ein bisschen müde. Viele Sachen wiederholen sich, alles läuft eher schleppend, anstatt dass es richtig gut nach vorne geht. Ich wünschte, ich könnte zum Beispiel mehr über Fußball reden und nicht über Queerness im Fußball, stattdessen wird vieles, auch ich selbst, darauf reduziert. Es führt einen schon oft an von Leuten, die dieselben oder ähnliche Zumutungen im Leben haben, verbessern.